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Wissenschaftsbeitrag: Die Vermessung der Welt – mit Quasaren

VLBI Radioteleskope in Onsala (Schweden) beobachten Quasare. Die Erdrotation erkennt man an der scheinbaren Bewegung der Sterne. Abbildung 1: Prinzip der VLBI. Im Korrelator wird festgestellt, um welche Zeitdifferenz das Signal an der einen Station früher ankommt als an der anderen Station. Daraus kann man verschiedene geodätische Parameter bestimmen. Abbildung 2: Radioteleskop in NyAlesund (Spitzbergen) Abbildung 3: UT1-UTC aus dem IERS Bulletin A seit 1973 (Quelle: United States Naval Observatory).

Um die Gestalt der Erde besser zu begreifen, bedienten sich die Menschen immer schon des Blicks zu den Sternen. So leitete Eratosthenes um 240 v. Chr. den Durchmesser der kugelförmigen Erde aus Beobachtungen zur Sonne beziehungsweise ihres Schattens in Assuan und Alexandria sowie der Länge des zugehörigen Bogens ab. Spätestens im 17. Jahrhundert kamen Zweifel an der Kugelform der Erde auf, und es wurden aufwendige Gradmessungen durchgeführt, um die Abplattung der Erde fest­zustellen, wie etwa in Lappland und Peru im 18. Jahrhundert. In Pol-Nähe muss man nämlich eine längere Strecke zurücklegen als am Äquator, damit sich die astronomisch bestimmte Brei­te um ein Grad ändert. Bis nach Mitte des 20. Jahrhunderts waren optische Sternbeob­achtungen von essentieller Bedeutung für die nationale und globale Koordinatenbestimmung. Erst danach wurden sie durch Satellitenverfahren und die Very Long Baseline Interferometry (VLBI) abgelöst. 

Very Long Baseline Interferometry (VLBI)

Heute verwenden wir in der Geodäsie keine optisch sichtbaren Sterne, sondern beobachten mit großen Radioteleskopen sehr weit entfernte extragalaktische Radioquellen, sogenannte Quasare, mit einem Schwarzen Loch in ihrem Zentrum. Im Vergleich zu den Sternen sind diese viel weiter entfernt, durchaus bis zu einer Entfernung von einigen Milliarden Lichtjahren. Das bedeutet, dass die Signale (eigentlich das Rauschen von den Quasaren), die wir empfangen, schon sehr alt bzw. lange unterwegs sind. Die Signale von den Quasaren, die an zwei oder mehreren Radioteleskopen empfangen werden, sind sehr schwach und an den Stationen tausendfach über­rauscht durch Störeinflüsse von der Atmosphäre und dem Empfangssystem. Um nun das gemeinsam beobachtete Signal von den Quasaren sichtbar zu machen, muss daher mit sehr großen Bandbreiten im Bereich von einem Gbit pro Sekunde beobachtet werden. Das Rauschen wird – zusammen mit Zeitmarken von hochgenauen Atomuhren – mit Festplatten aufgezeichnet und zu einem Korrelator geschickt, entweder mit normalem Versand oder über das Internet. Im Korrelator wird schließlich über Kreuzkorrelation der Unterschied in den Ankunftszeiten bestimmt. Das erfolgt über die Detektion des Korrelationsmaximums und den Vergleich der zugehörigen Zeitmarken. Diese Unterschiede in den Ankunftszeiten sind die eigentlichen Beobachtungsgrößen, welche in die spätere Auswertung eingehen (siehe Abbildung 1).

International VLBI Service for Geodesy and Astrometry (IVS)

Es ist von grundlegender Bedeutung für die geodätische VLBI, dass die Beobachtungen koordiniert werden. Diese Aufgabe wird vom International VLBI Service for Geodesy and Astrometry (IVS) übernommen. Derzeit werden zwei bis drei 24-Stunden Experimente pro Woche durchgeführt. Daran nehmen etwa zehn global verteilte Radioteleskope teil und beob­achten im Schnitt alle fünf Minuten eine neue Radioquelle. Damit hat man einige tausend VLBI-Beob­achtungen pro Experi­ment, aus denen man zum Beispiel Stationskoordinaten oder Erd­orientierungsparameter bestimmen kann. Ungefähr 40 global verteilte Radioteleskope nehmen regel­mäßig an geodätischen VLBI-Experimenten teil. Das nördlichste steht in NyAlesund auf Spitzbergen bei 79 Grad nördlicher Breite (siehe Abbildung 2). Der IVS spielt eine bedeutende Rolle bei der Erstellung des terrestrischen Referenzrahmens, vor allem beim Maßstab, und er ist unerlässlich für die Realisierung des himmelsfesten Referenzrahmens sowie bei der Bestimmung der Erdorientierungs­parameter. 

Erdorientierung

Die Erdorientierungsparameter beschreiben die Orientierung der Erde im Weltraum, also in Bezug auf die Quasare. Obwohl geometrisch drei Drehwinkel zur Beschreibung aus­reichend wären, werden in der Praxis fünf Erdorientierungsparameter verwendet. Zwei davon bezeichnen die Position der Erdrotationsachse in Bezug auf den Himmel (Nutation, mit dem Spezialfall Präzession), zwei beschreiben die Position und Bewegung der Erdrotationsachse auf der Erdoberfläche (Polbewegung), und der fünfte Parameter ist ein Maß für die Rotationsgeschwindigkeit um die Drehachse. Korrekt wird dieser Parameter mit UT1-UTC bezeichnet, was der Differenz zwischen der Zeit basierend auf der Erdrotation (UT1) und der Zeit basierend auf Atomzeit (UTC) entspricht. Durch Einfügen von Schaltsekunden wird UTC immer so an UT1 angepasst, dass die Differenz kleiner als eine Sekunde ist. 

Abbildung 3 zeigt die Differenz UT1-UTC über die letzten Jahrzehnte und die Schaltsekunden (leap seconds). Außerdem erkennt man, dass sich die Erde in den letzten Jahren etwas schneller gedreht hat als in den Jahren davor, weil es schon länger keine Schaltsekunde mehr gegeben hat. Jedenfalls ist die VLBI das einzige Verfahren zur Bestimmung von UT1-UTC. Weil dieser Parameter nicht vorhersagbar ist, ist die regelmäßige Beobachtung mit VLBI von großer Bedeutung. Hat man nämlich einen Fehler von einer Millisekunde in UT1-UTC, dann entspricht das einem Fehler an der Erdoberfläche von knapp einem halben Meter, was etwa bei Punktbestimmungen mit Globalen Satellitennavigationssystemen (GPS, Galileo, ...) kritisch sein kann. Andererseits entspricht beim Mars eine Millisekunde schon mindestens mehreren Kilometern. 

Nicht zuletzt deswegen sind Weltraumorganisationen wie NASA und ESA stark in VLBI-Aktivitäten und die Bestimmung der Erdorientierungsparameter involviert. Schließlich sei hier angemerkt, dass man sich international nun endlich zur Abschaffung der Schaltsekunden durchgerungen hat. Ab 2035 wird es keine Sprünge in UT1-UTC mehr geben. Dadurch wird die Differenz zwar größer als eine Sekunde werden, was aber nicht zu Problemen führen wird. 

Himmelsfester Referenzrahmen

Der himmelsfeste Referenzrahmen wird heute ebenfalls mit dem Verfahren der Very Long Baseline Interferometry be­stimmt. Davor wurden Kataloge mit optischen Sternpositionen verwendet. In der aktuellsten Realisierung (International ­Celestial Reference Frame 3, ICRF3) stehen die Positionen von mehr als 4500 extragalaktischen Radioquellen im X-Band (8.4 GHz) zur Verfügung. Die Positionen häufig beobachteter Quellen kennt man mit einer Genauigkeit von 30 Mikro­bogensekunden. Das entspricht der Auflösung eines Tennisballs auf dem Mond, beobachtet von der Erde. Neben dem Katalog im X-Band gibt es auch Lösungen im K- und Ka-Band, welche wiederum von großer Bedeutung für die Navigation von Raumfahrzeugen sind. 

VLBI-Aktivitäten an der TU Wien

An der Technischen Universität Wien (TU Wien), zusammen mit dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) in Wien, wird erfolgreich ein VLBI-Analysezentrum betrieben. So gingen Wiener VLBI-Lösungen in die Berechnung des International Terrestrial Reference Frame 2000 (ITRF2000) und des ICRF3 ein. Des Weiteren bestimmen wir laufend Erd­orientierungsparameter, welche auf vlbi.at veröffentlicht werden. Seit einigen Jahren tragen wir auch zur Korrelation von VLBI-Beobachtungen bei. Diese Aufgabe ist besonders herausfordernd, nicht nur in Bezug auf die notwendigen Kennt­nisse, sondern auch in technischer Hinsicht. Wir können dankenswerterweise den Vienna Scientific Cluster 4 dafür verwenden, der uns die notwendigen Voraussetzungen in Bezug auf Storage, Knoten und Internet­anbindung bietet. VLBI ist jedenfalls eine in ­jeder Hinsicht faszinierende Technik! 

Johannes Böhm, Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. 
Höhere Geodäsie, Department für Geodäsie und Geoinformation, Technische Universität Wien


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